NRZ vom
4. Oktober 2005
Fest
im Strudel der Beziehungen
von Andreas Daams
Das
private XOX-Theater feierte Premiere mit Hubs "Die Beleidigten".
KLEVE.
Für traditionsbewusste Musikliebhaber ist ein Streichquartett Klang gewordene
Vollkommenheit. Doch die Instrumentalisten sind auch nur Menschen und daher alles
andere als vollkommen. Das müssen in Ulrich Hubs Schauspiel "Die Beleidigten"
auch zwei Musiker-Paare leidvoll bemerken, die sich zu einem Streichquartett zusammenschließen
möchten und schon mal eifrig für einen großen Auftritt proben.
Im
Klever XOX-Theater hörte man allerdings keinen Ton, als das Stück am
Samstag Premiere hatte. Dafür bekam man die ganze Bandbreite möglicher
Umgangsformen mit. Beschimpfungen, Begierden, Bündnisse auf Zeit, deprimierte
Klagen, bittere Witze, Drohungen, geheucheltes Verständnis füreinander.
Beide Paare trennen sich, versuchen sich neu zu mischen, finden aber nicht einmal
sich selbst. Wahlverwandtschaften im 21. Jahrhundert: Jeder glaubt seine Lügen,
zumindest bis zur nächsten. Das bürgerliche Trauerspiel ist zum Probengeplänkel
verkommen. In dazwischen geschnittenen Solo-Auftritten erzählen drei der
vier Musiker dem Publikum rückblickend ihre Sicht der Dinge, hat sich doch
einer von ihnen kurz vor dem geplanten Konzert umgebracht. Aber sogar hier triumphiert
die Pose über die Wahrheit. "Das ist jetzt also mein Leben?", fragt
Marion (Agnes Bröker). Und befindet dazu lapidar: "Scheiße!"
Regisseur
Wolfgang Paterok hat die Handlung an die Ränder der Bühne verlegt. Rechts
außen sitzt das Quartett, unfähig, eine Einheit zu bilden, links außen
stellt man die Instrumentenkoffer ab und sondiert die Stimmungslage. In der Mitte
klafft ein riesiges schwarzes Loch, durch das die Akteure immer wieder wie durch
einen Strudel irren. Dass diese Sogwirkung so überzeugend funktioniert, liegt
vor allem an den vier überzeugenden Schauspielern Agnes Bröker, Dagmar
Fischer, Thomas Freiss und Klaus Gerritzen. Ihr ungeheuer sorgfältiges, durchdachtes
Spiel stieß beim Publikum auf große Resonanz.
Nun haben Beziehungsszenen
aus der sicheren Entfernung des Zuschauerraums aber auch immer etwas Komisches
an sich. So manches Mal durfte und musste man unwillkürlich lachen über
die hoffnungslosen Fälle, die sogar ihre vermeintlich großen Erkenntnisse
einander nachplappern. Alles also ganz genauso wie im wirklichen Leben. Nur als
gutes, liebevoll dargebotenes Theaterstück.
RP
vom 5. Oktober 2005
Das
Leben ist lang, kurz ist die Liebe
von Lena-Maria Reers
Unter
der Regie von Wolfgang Paterok feierte das Schauspiel "Die Beleidigten"
Premiere im XOX-Theater mit einem Streichquartett der "Beleidigten",
das am Ende nicht über die Gründungsphase hinauskommt
"Das
Geheimnis der Liebe ist, dass man nicht darin rühren darf, wie im Kaffeesatz."
Dagmar Fischer alias Renate spricht aus, warum das Streichquartett der "Beleidigten"
am Ende nicht über die Gründungsphase hinauskommt. Doch in dem Stück
des Berliner Autors Ulrich Hub hält man sich nicht an solche Kaffeesatz-Weisheiten.
Die unterkühlte Perfektionistin Renate, ihre scheinbar lebensfrohe Schwester
Marion, der unerschütterlich optimistische Robert und der resignierte Florian,
die zweite Geige, haben nur noch sieben Proben, um sich auf ein Eröffnungskonzert
auf der Museumsinsel vorzubereiten.
Doch anstatt konzentriert zu proben, laufen
die vier Charaktere bei ihren Orchestertreffen zu weniger musikalischen als streiterischen
Höchstleistungen auf. So posaunt Robert zum Beispiel unverblümt Beleidigungen
hinaus, die nicht nur Marions musikalische Unzulänglichkeit bezüglich
der Intonation betreffen, sondern auch seine persönliche Einstellung zu ihr
deutlich machen.
Nach und nach kann der Zuschauer aus den zahlreichen Anschuldigungen
und den darauf folgenden Verteidigungen, die alle Quartettmitglieder ihrem Gegenüber
geradeheraus an den Kopf werfen, ein komplexes Beziehungsgeflecht ableiten. Dabei
tun sich nicht nur ständig Überraschungen und nie erahnte Peinlichkeiten
auf, auch das Aggressionspotential wächst spürbar. Der Dialog nimmt
immer bissigere Formen an, hartnäckig verteidigt jeder seine Position im
erbarmungslosen Beziehungskampf. In Monologen zwischen den einzelnen Proben öffnen
die Charaktere dem Publikum ihr Herz und schnell wird das eigentliche Problem
klar: "Ist das jetzt mein Leben? Scheiße!" Das ewige Gemecker
über die anderen, die latente verbale Aggression - das alles ist nur ein
Spiegel der eigenen Unzufriedenheit.
"Ich will der Florian werden, der
ich schon immer sein wollte. Ich will die Erfahrung großer und tiefer Einsamkeit
machen." So wird das Stück zum psychologischen Drama, zur existentiellen
Auseinandersetzung der Charaktere mit sich selbst und der "restlos abgewirtschafteten
Zweisamkeit" ihrer bröckelnden Beziehungen.
Wolfgang Paterok inszeniert
in einfacher Kulisse ein äußerst unterhaltsames Stück, das durch
ständige Satzwiederholungen und versetzte Dialoge, Wortwitz und Charme erhält.
Vier völlig verschiedene Charaktere formen sich aus dem Schauspiel von Agnes
Bröker (Marion), Dagmar Fischer (Renate), Thomas Freiss (Robert) und Klaus
Gerritzen (Florian). Doch alle müssen sie erkennen: "Das Leben ist lang,
die Liebe ist kurz." Und am Ende heißt die für das Quartett entscheidende
Frage: "Wer gibt das a?" "Robert."