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  NRZ vom 24. August 2015
  Der böse Witz kam an
      XOX-Theater brachte Biedermann und die Brandstifter mit  
    Wolfgang Paterok in der Hauptrolle 
     
von Andreas Daams 
  Gottlieb  Biedermann scheitert in Max Frischs Stück „Biedermann und die Brandstifter“  ziemlich kläglich an den beiden Pyromanen, die sich unter seinem Dach  eingenistet haben. Auch nachdem er sie zum Gans-Essen eingeladen und mit ihnen  Brüderschaft getrunken hat, lassen sie von ihrem Plan nicht ab, Biedermanns  Haus niederzubrennen.  
       
      Jahrzehntelang war das 1958 uraufgeführte Stück Schullektüre – lässt sich doch  trefflich allerlei hineindeuten. Der kommentierende Theaterchor der  griechischen Antike in Gestalt von Feuerwehrleuten verstärkt die parabelhafte  Tiefe nochmals deutlich. Biedermann, selber ein Existenzvernichter, aber einer  mit Bildung, bildet eine weitere Schicht im kleinen Weltkosmos des Stücks.  
       
      Funktioniert dies auch heute noch auf der Bühne? Wolfgang Paterok hat in seiner  XOX-Inszenierung alles Aktualisierende unterlassen und sich ganz auf den Text  konzentriert. Visuell dominiert das Spiel mit dem Licht, vom Glühen der Zigarre  bis zum einbrechenden Sonnenstrahl. Im Halbdunkel wirkt die Mimik der Akteure  besonders ausdrucksvoll. Gerade die beiden Bösewichte (York Dehnen, Gerd  Walther) bestechen hier in ihrer geradezu kindlichen Unbekümmertheit. Es macht  großen Spaß, ihren gewitzten Dialogen mit Biedermann zu folgen, der  fälschlicherweise glaubt, alles unter Kontrolle zu haben.  
       
      Wolfgang Paterok arbeitet an seinem Biedermann gerade diese „bürgerliche“  Selbstbezogenheit heraus, die im Festmahl die Form peinlichster  Selbsterniedrigung annimmt. Seine Frau (Renate Hendricks) und das Dienstmädchen  (Saskia Richter) durchschauen die Sache zwar viel eher, können sich aus ihrer  Passivität aber nicht lösen. Beide Frauen spielten diese innere Zerrissenheit  sehr überzeugend. Der Chor der Feuerwehrleute (Helmut Weber, Robin Tesch,  Elisabeth Verhoeven und Werner Zenker) hatte vielleicht die schwierigste  Aufgabe: Weisheiten in den Raum zu raunen, ohne handeln zu können. Der böse  Witz des Stückes kam jedenfalls beim Klever Premierenpublikum gut an. Es gab zu  Recht viel Applaus. 
      
    
  
    
      RP vom 29. August 2015 
      Biedermann als explodierendes Fiasko
      von Luisa Ossmann
      Zigarrenqualm hängt wie Nebelschwaden gleich über dem Vorhang.   Nachdem es wegen nichterfüllter Brandschutzauflagen zeitweilig von der   Stadt Kleve geschlossen worden war, meldet sich das XOX-Theater mit dem   Klassiker "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch zurück. Die   gelungene Premiere betonte die Schlichtheit und die Aktualität des   Stückes. Theater-Chef Wolfgang Paterok brachte das Werk auf die Bühne   des XOX und war selbst als Biedermann in der Hauptrolle zu sehen.
      Gottlieb Biedermann, ein braver und leichtgläubiger Bürger, lebt   in gefährlichen Zeiten. Brandstifter treiben in der Stadt ihr Unwesen.   Von seiner vermeintlichen Menschlichkeit überzeugt, gewährt er dennoch   zwei zwielichtigen Obdachlosen Unterschlupf. Bloß komisch, dass deren   frühere Domizile alle unter höchst mysteriösen Umständen abgebrannt   sind. Schmitz und Eisenring sind Verbrecher, die keinen Hehl um ihre   Absichten machen. "Scherz ist die drittbeste Tarnung, die zweitbeste:   Sentimentalität, aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die   nackte Wahrheit", sagt Eisenring. Am Ende ist es Biedermann, der dem   Schurken sogar die Streichhölzer reicht, mit denen sein eigenes Haus   angezündet wird. Die Biedermanns können nicht anders, als sie   aufzunehmen, selbst Biedermanns Frau Babette (Renate Hendricks) will   nicht länger als ängstliche Spießerin gelten. Der obdachlose Ex-Ringer   Schmitz (York Dehnen) ist ein schmatzender Schmarotzer, der das   gnadenlos ausnutzt und sich gerne bedienen lässt. Sein Komplize   Eisenring (Gerd Walther) wickelt Biedermann mit seinem Charme ebenso fix   um den Finger. Naiv biedert dieser sich den Brandstiftern an, stellt   sich künstlich auf die gleiche Stufe und macht es sich in seiner Rolle   als Gutmensch gemütlich. Paradox, denn Biedermann hat gerade seinen   langjährigen Angestellten Knechtling entlassen und damit in den   Selbstmord getrieben. Dessen Witwe wird eiskalt ignoriert.
      Mit seiner vermeintlichen Gutmütigkeit gegenüber den Brandstiftern   hofft Biedermann, vor dem Verbrechen verschont zu bleiben: "Wenn ich   sie anzeige, dann mache ich sie mir zu Feinden. Wenn ich sie einlade,   sind sie meine Freunde." Damit outet sich Biedermann endgültig als   feiger Mitläufer. Das zunehmend verständnislosere Dienstmädchen Anna   (Saskia Richter) scheint die Einzige, die die Wahrheit und Absurdität   ihres Vorgesetzten erkennt. Doch auch sie schweigt und spielt mit.
      Die mahnenden Parolen, inbrünstig ausgerufen vom Feuerwehrchor   (angeführt von Elisabeth Verhoeven, mit Helmut Weber, Robin Tesch,   Werner Zenker), bleiben ungehört. Sirenen übertönen schon jegliche   verspätete Versuche des Brandstifter-Komplizen (Johannes Himmes) Herrn   Biedermann die Augen zu öffnen. Am Ende geht die gesamte Stadt in   Flammen auf.
      Besonders im zweiten Teil wirkte die anfängliche   Premieren-Nervosität der Schauspieler wie verflogen. Das XOX- Theater   präsentierte vor allem dann ein stark gespieltes Stück voller Spannung.   Im kargen Scheinwerferlicht, bühnenbildtechnisch minimalistisch   gezeichnet, entwickelt sich die Farce zum explosiven Fiasko. Als   Zuschauer fühlt man eine Mischung aus Mitleid und Unverständnis   angesichts Biedermanns Ratlosigkeit und Unfähigkeit, der verzwickten   Lage durch selbstbestimmtes Handeln zu entkommen. Am Ende aber bleibt   vor allem das ungute Gefühl, dass Biedermänner und Brandstifter weiter   unter uns weilen. 
        
        
        
   
 
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