NRZ vom
10. Mai 2006
Erotische
Spannung fehlte
von Stefanie Männchen
Das
XOX-Theater führte "Bungee Jumping" auf. Überraschendes Ende.
Die Geschichte erinnert stark an den Hollywood-Erfolg "Ein unmoralisches
Angebot". Die düstere Atmosphäre eher an einen Henning Mankell-Krimi.
In Jaan Tättes Stück "Bungee Jumping oder Die Geschichte vom goldenen
Fisch" geht es nicht nur um den Sprung ins Ungewisse; der estnische
Autor
verlangt den Schauspielern den Sprung vom Krimi zum Märchen ab.
Eine Aufgabe,
der Klaus Gerritzen vom XOX-Ensemble gewachsen war. Er spielte bei der Premiere
den undurchschaubaren Osvald, der in einer verlassenen Waldhütte lebt. Um
ihn herum: unzählbar viele Kartons gefüllt mit Geld. Vier Milliarden
Dollar, die er von einem goldenen Fisch bekommen hat. Ist der einsame Angler wahnsinnig,
kriminell oder herzensgut und nur verzweifelt? Bis zuletzt behielt Gerritzen den
Zuschauern Osvalds wahres Gesicht vor.
Als eines Abend Laura (Gabriela Thoenissen)
und Roland (Michael Schläger), ein Pärchen, das sich beim Trampen verlaufen
hat, bei Osvald um Unterschlupf bitten, glaubt er, in Laura die Frau seiner Träume
gefunden zu haben. Er bietet Roland eine Milliarde Dollar, dass er sie ihm überlässt.
Im Folgenden offenbaren sich sämtliche moralischen und emotionalen Abgründe
der menschlichen Psyche. Beide sind bereit, ihre Liebe zu riskieren, mit dem Feuer
zu spielen und den Sprung zu wagen.
Neben Gerritzen wirkten Schläger und
Thoenissen etwas farblos. Keine Spur von Spannung und prickelnder Erotik, nach
denen das Thema nahezu schreit. Zerrissenheit, Angst und Hoffnung ließen
sich bei Thoenissen nur erahnen, Schläger fand hingegen immer mehr in seine
Rolle. Auf Osvalds Bitte hin hüpft er als Häschen über die Bühne
und erkennt, dass er, blind vor Gier, dem Wahnsinn verfallen ist.
Überraschend
die Auflösung des Stücks: Ein vermeintlicher Pizzabote (York Dehnen,
dessen schauspielerische Leistung sofort überzeugte), gibt sich als Gauner
zu erkennen, der das Geld in Osvalds Hütte nur zwischengelagert hatte. So
zerstört er mit einem Mal den Zauber, löscht die
Träume aller
Beteiligten aus und holt sie auf den Boden der Tatsachen zurück.
RP
vom 10. Mai 2006
"Wo
hast Du einen Strick?"
von Matthias Grass
Mit
"Bungee Jumping oder Die Geschichte vom goldenen Fisch" bringt Wolfgang
Paterok das stück des lettischen Erfolgsautors Jaan Tätte auf die Bühne
des XOX-Theaters. Nach der Premiere stehen vor der Sommerpause noch drei Aufführungen
auf dem Programm des Theaters
Ein
kahler Tisch, eine Matratze auf Europaletten. Der Boden aus Spanplatten gezimmert,
drei Stühle. Das karge Heim Osvalds.
Der Eigenbrödler sitzt am Tisch
und schleift sein Messer. Im Hintergrund der Bühne zeigen ein paar verdorrte
Fichten den Wald der Einöde in den Weiten Lettlands an. "Bungee Jumping"
heißt das
Stück
des Letten Jaan Tätte. Der Titel passt gar nicht in diese arme Einöde.
Genausowenig wie das Juppie-Paar, das plötzlich vor Osvalds Tür auftaucht
und um "Asyl" bittet. Ab da läuft die Geschichte Osvalds übrigens
völlig aus dem Ruder. Oder doch nicht - spielen wir Theater?
Wolfgang
Paterok hat mit Tättes "Bungee Jumping" das Erfolgsstück des
Letten nach Kleve geholt und einen guten Griff getan: Das Stück ist spritzig,
spannend, voller Sprachwitz und demontiert gleichzeitig die Moralvorstellung moderner
Menschen. Motto: Geld verdirbt den Charakter. Denn
Osvald ist steinreich.
Warum - das bleibt erst einmal im Dunkeln. Löst sich nach und nach - und
ist doch irgendwie nur Theater. Oder?...
Hase
und Storch
Mit
Klaus Gerritzen, Gabriela Thönissen und Michael Schläger stellte Paterok
das Stück mit noch recht unerfahrenen Schauspielern auf die Bühne, York
Dehnen, seit Jahren im XOX-Team dabei, assistiert in einer kurzen Gastrolle. Trotzdem
wird sich das Team bald eingespielt haben - die schöne Laura (Thoenissen)
und ihr Geliebter Roland (Schläger), die beide dem Geld nicht widerstehen
können, der Eigenbrödler Osvald (Gerritzen). Roland wird von Osvald
erniedrigt, er hüpft als Hase über die Bühne, stolziert als Storch
...
Gebrochen werden diese Momente wieder vom Wortwitz, von Situationskomik:
Als Roland und Laura etwa Osvald überwältigt haben, finden sie keine
Fessel. Während Roland ausflippt, fragt Laura naiv:
"Osvald, wo hast
du einen Strick?" Auch der Versuch, den Einsiedler mit heruntergerissener
Bluse zu fesseln, schlägt fehl. Hängenden Kopfes muss sich Laura sie
wieder anzeihen ...
Stille
Szenen
So wechseln
ernste und humorige, laute und stille Szenen - geht's rasant über die Bühne.
Und immer wieder kippt die Handlung um - hier will Osvald Laura kaufen, dort reut
ihn das unmoralische Angebot, hier will Laura Osvald umbringen, dort umgarnt sie
ihn ehrlich. Und Roland wird von der tapsigen Figur zur tragischen, verliert Laura
und doch wieder nicht. Bis zum surrealen Ende des Ganzen. Gut auch Dehnens Auftritt
als Mann mit Waffe, der wieder eine Wendung bringt (welche, wollen wir nicht verraten)
...
Kleine Schwächen werden bald weg sein in der stimmigen Inszenierung
des lohnenswerten Stückes
- alle drei Schauspieler haben das Potenzial.
Langer Applaus zur Premiere hoch oben unterm Dach des XOX-Thaters, das jetzt die
Decken wegpacken kann und seine beste Zeit haben wird. Mit einem guten Stück
neuen Theaters.