NRZ vom
13. August 2007
Familiäre Levitenlesestunde
Gut besuchte Premiere
zur Eröffnung der elften Spielzeit des XOX-Theaters:
"Familienbande"
ohne inneren Halt.
von Klaus Hübner
KLEVE.
Verwandte sehen viele Menschen lieber gehen als kommen. Geringste Kleinigkeiten
treiben verdrängte Konflikte nach oben, Streit und Häme kennzeichnen
die familiären Zusammenkünfte.
Soweit das Klischee. Das Ensemble
des XOX-Theaters zeigte mit "Familienbande" von Agnès Jaoui und
Jean-Piere Bacri die tatsächlichen Verhältnisse innerhalb familiärer
Clan-Treffen. Nämlich das Klischee.
Hackordnung
steht zur Disposition
Weil
Betty (Dagmar Fischer) nahe am Alkohol lebt und ein vulgäres Vokabular als
einzige Verteidigungswaffe besitzt, ist sie das erste Ziel ihrer verwitweten Mutter
(Agnes Bröker), die seit dem Tod des Ehemannes als Verdrängungskünstlerin
ein Regiment aus mütterlichem Anspruchsdenken und blindem Wirklichkeitssinn
führt.
Um sie herum die drei Kinder, Tochter Betty und die Söhne
Henri (Thomas Freiss) und Philippe (Martin Kuhnen), dessen Frau Yolande (Gudrun
Hütten) vom unterdrückten Mauerblümchen zum aufblühenden Rosenstrauch
aufwächst.
Henri, der wieder sein "Freitagsjäckchen" angezogen
hat, ist ein nörgelnder Spießer, der sich darüber erregt, dass
eine Weltklassetennisspielerin in Shorts ihrem Sport nachgeht. Ehefrau Arlette
nahm sich nicht ohne Grund eine Auszeit von ihm.
Bruder Philippe, ein karrieresüchtiger
Macho, kämpft mit den Nachwehen eines verpatzten TV-Auftritts. Betty, mit
dem Barmann Denis (Klaus Gerritzen) in lockerer, geheimgehaltener Weise verbandelt,
eckt mit ihrem lockeren Mundwerk überall an. Sie stellt die Hackordnung der
Familie immer wieder zur Disposition, was besonders die Mutter in Rage bringt.
Eigentlich hat keines der Familienmitglieder ein Interesse daran, das Verwandtschaftspack
zu treffen. Nur eine undefinierbare Pflicht hält sie dazu an, sich in der
Kneipe des verstorbenen Vaters, die jetzt Sohn Henri führt, zu tref fen.
Es kommt nichts Gutes, schon gar nichts Herzliches dabei heraus, Macht- und Grabenkämpfe
gestalten die Gefechtsordnung eines Familienkrieges ohne scharfe Waffen. Mit dem
Abendessen im Duc de Bretagne wird es nichts an diesem Freitag, den Arlettes Eheflucht
dominiert. Fast geht deswegen Yolandes Geburtstag unter, der eigentlich sowieso
schon vergessen war. Als Notgeschenk bekommt sie einen Gutschein für einen
Hund, dessen spätere Lähmung bereits feststeht. Ein ähnliches Exemplar
liegt stumm und regungslos bereits hinter der Theke und gehört Henri.
Niemand
bricht aus Klischee heraus
Festgefahren im Schlamm gegenseitigen Unverständnisses trottet die Familie
weiter vor sich hin. Niemandem gelingt es, aus der fest im Klischee verankerten
Rolle irgendwie auszubrechen. Nur Denis entpuppt sich als standfester Leuchtturm
im Wellenbad der "Familienbande", charakterfest, treu und mit trockenem
Humor gesegnet.
Unter der Regie von Wolfgang Paterok zeigte das XOX-Theater
eine reife, textsichere Leistung. Die überzeugend herausgearbeiteten Charaktere
deuteten wenigstens mit einem Finger Richtung Publikum, wo vielleicht unter gelassener
Oberfläche hier und da ähnliche durchschnittene Familienbande anzutreffen
sind.
RP
vom 22. August 2007
XOX-Theater
überzeugt mit Familienbande
von Matthias Grass
KLEVE
Die Kneipe ist ein bisschen heruntergekommen, abgegriffen. Alte Kunststoffsesselchen,
eine Musicbox und die Theke. Darauf die polierte Zapfsäule, die Kellner Denis
immer wieder seelenruhig wienert. Sie ist nämlich das Wichtigste an einer
Kneipe, doziert er. Doch keiner hört ihm zu. Denn Zuhören - damit haben
die Figuren auf der Bühne scheints Probleme. Am Schluss klingt "Una
furtiva lacrima" - und heimlich eine Träne - von Caruso über die
Bühne. Dennoch ist das Ende des Dramas irgendwie versöhnlich...
"Familienbande"
heißt das Stück von Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri, das Wolfgang
Paterok für sein Ensemble und die neue Saison ausgesucht hat und dessen Premiere
kürzlich gefeiert wurde. Mitten in der französischen Provinz treffen
sich die Mitglieder der Familie Menard immer Freitag abends in jener leicht angegriffenen
Kneipe. Sie gehört Henri (Thomas Freiss), dem "Blödmann vom Dienst
in der Familie", wie er später feststellen wird. Daneben steht Philippe
(Martin Kuhnen), Mamas Liebling und seine unheimlich verhuschte Ehefrau Yoyo (Gudrun
Hütten). Bleibt die junge Betty (frech und aufbrausend: Dagmar Fischer) -
der Revoluzzer der Familie, die dem überkommenen Frauenbild in der Familie
nicht gerecht werden will.
Bleibt noch Mama: Als typische Familienmatrone
mit Haaren auf den Zähnen Agnes Bröker. Im Sich und im Gestern verfangen
ebenso wie in der Vergötterung des scheinbar erfolgreichen Philippe. Den
Erfolgs-Yupie gibt wunderbar gegeelt Martin Kuhnen. Er schafft die ganze Palette
vom erfolgreichen Geschäftsmann, der es ins Fernsehen geschafft hat, bis
zur völlig konsternierten Nummer vier eines kleinen Unternehmens. In seinem
Schlepptau Yolande - Gudrun Hütten als die ihren Mann vergötternde und
die Familie erleidende Yoyo, die allerdings unter Bettys Einfluss und einigen
"Picon" es endlich wagt, gegen die Matrone Mutter aufzumucken, die ihr
einen Hund zum Geburtstag schenkt. Einen Hund wie Caruso, der unsichtbar und gelähmt
unterm Tresen liegt, um den sich alle mehr kümmern, als um ihr Gegenüber.
Schön, wie alle nebeneinander her und aneinander vorbei reden. Wie die wahren
Probleme der Figuren nicht erkannt werden, letztlich dem scheint's so ruhigen
Denis der Kragen platzt und sich Arlette, die Frau Henris absetzt(sie gibt's nur
am Telefon). Eine rundum gelungene Familiensicht. Wie aus dem Leben gegriffen
- in einer ebenso rundum gelungenen Inszenierung mit toller Ensembleleistung.